Ümit Sahin - Vorwort
In dem folgenden Kurzfilm möchte ich über meine Erfahrungen als junger Mensch mit Typ-2- Diabetes sprechen. Ich möchte von meinem Start mit Diabetes erzählen. Meine Kenntnisse basieren auf eigenen Erfahrungen, Beratungsgesprächen, und auch Fehlern. Die Diagnose Diabetes Typ 2 veränderte alles. Wie ging es danach weiter? Ich möchte Sie in meinen Alltag mit Diabetes mitnehmen. Denn bildhaft gesprochen, ist mein Alltag seitdem ein Hindernisparcours mit vielen Schleifen und Wiederholungen. Mich hat Diabetes als Betroffener in kürzester Zeit nicht nur geprägt, sondern auch verändert. Die Frage, die mich persönlich stets beschäftigt ist, ob Diabetes mich auch in positiver Weise lenkt. Ich will herausfinden, wo meine Möglichkeiten mit der Erkrankung liegen, gibt es Widerstände und Widersprüche in meinem jetzigen und zukünftigen Leben?
Geht Diabetes nur mich etwas an? Ich bin ehrlich: Ich hatte es mir einfacher vorgestellt.
Ümit Sahin
Meine Diagnose Diabetes Typ 2
Mit 34 Jahren an Diabetes Typ 2 zu erkranken, ist eine Schocknachricht. Stets hatte ich das Gefühl, dass es mich nicht treffen könnte. Die Sicht auf mein Leben war nicht getrübt, obwohl ich mich nicht gesund ernährte und ich wenig Bewegung hatte. Mein Motto bis dahin: „Was soll schon passieren. Ich kann es noch drehen und wenden.“
Vor der Diagnose durch meinen Hausarzt kamen dann aber die typischen Symptome wie bei unbehandelten extrem hohen Blutzuckerwerten. Bei mir waren das unter anderem vermehrter Durst, häufiges Wasserlassen und Gewichtsabnahme. Das Gefühl zu haben, dass sich etwas Gravierendes mit der eigenen Gesundheit verändert hat, machte mir große Sorgen. Das plötzliche Auftreten täuschte allerdings darüber hinweg, dass sich mein Typ-2-Diabetes über Jahre aufgebaut hat und „Zack!“ bis zu einem Punkt dann manifestierte.
Das Tückische an Diabetes Typ 2 ist, und das erstaunt mich immer wieder, dass es nicht weh tut. Ein hoher Blutzuckerwert ist erst über einen längeren Zeitraum spürbar und auch dann erst, wenn es zu spät ist und bereits eine körperliche Reaktion, wie beispielsweise ein ständiges Durstgefühl, auftritt. Als ich die Diagnose erhielt, war ich auch mitten in einem Jobwechsel. Ich hatte mich selbstständig gemacht. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es ein günstiger oder ungünstiger Zeitpunkt war. Wann gibt es schon günstige Momente für schlechte Nachrichten?
Mein Alltag als Typ-2er
Der Alltag sah nun, laut Plan meines Diabetologen, folgendermaßen aus: Gesunde Ernährung, viel Bewegung, die Blutzuckerwerte beachten und regelmäßig messen, abnehmen, gesunder Lebensstil.
Als ich das zum ersten Mal hörte, war ich auch super motiviert und recherchierte erstmal über die Möglichkeiten und die Hilfen. Zuerst funktionierte die Umstellung auch. Ich verzichtete weitestgehend auf Kohlenhydrate, stellte die Kochrezepte auf vollwertige Zutaten um, reduzierte die Essensmenge. Anstatt wie gewohnt „immer mal zwischendurch“ zu essen, stellte ich mich auf „3 Mahlzeiten am Tag“ um und baute mehr Bewegung und Sport in den Alltag ein.
Und ich hatte großen Erfolg: Ich nahm ab, fühlte mich frischer, ich spürte den Diabetes nicht. Die Werte wurden besser und besser. Durch mein Engagement in der Recherche zu Diabetes hatte ich sogar neue Freunde gefunden und die Selbsthilfe der DDH-M kennengelernt.
Wie ändere ich Gewohnheiten?
Ungefähr ein Jahr nach der Diagnose war ich wieder am Anfang angekommen: Mein Job hat das regelmäßige Blutzuckermessen sowie die regelmäßige Einnahme einer vollwertigen Mahlzeit schnell ausgebremst. Die Sporttermine wurden von mir verschoben, bis ich gar nicht mehr hinging - „Der alte Ümit ist wieder da“.
Mein Fazit nach einem wunderschönen Start in ein Leben mit Diabetes: Die Kilos sind wieder drauf, die Blutzuckerwerte schlecht und alle guten Vorsätze zunichte gemacht.
Es ging zurück zum Anfang. Der besagte Hindernislauf begann von vorn. Die Gewohnheiten zu ändern ist ein schwieriges Unterfangen, meiner Meinung nach. Ich habe für mich entdeckt, dass es wie ein Umgang mit einer Sucht ist, d.h. es besteht immer die Gefahr wieder zurück zu fallen. Die Einsicht, dass es nicht so einfach werden würde, wie gedacht, drückte meine Stimmung.
Es blieb mir also nichts anderes übrig, als eine Lösung für mich zu finden. Ich habe gelernt: „Alles zu wissen, heißt nicht, alles zu können“. Es ist wichtig für mich einen eigenen Stil zu nutzen. Die Grundpfeiler im Umgang mit Diabetes sind vorhanden und geben Rahmenbedingungen, in denen ich mich bewegen kann. Statt Gewohnheiten radikal zu ändern, suche ich eigene Möglichkeiten. Ich setze mir realistische Ziele. Ich finde, Freunde und Bekannte können mich stark unterstützen, z.B. durch Motivation, aber die Umsetzung ist meine Sache.
Mein persönlicher Weg
Nach den Neustarts habe ich den Dreh nun raus. Mein Bauchgefühl sagt mir z.B., dass ich Spaziergänge nicht mag, aber wenn ich beispielsweise in ein Geschäft gehen will, das fußläufig gut zu erreichen wäre, dann ist das mein „Spaziergang“.
Etwas, was mein Leben sehr geprägt hat, ist das Essen. Kochen ist mein Hobby. Ich entspanne beim Kochen und probiere gerne verschiedene Rezepte aus, die ich im Alltag aus Zeitnot nicht kochen kann. Es macht mir einfach Spaß. Egal, ob türkische Küche oder deutsche, ich lege mich nicht fest. Daraus folgte allerdings auch, dass ich unheimlich gerne esse. Ich belohne mich mit Essen, eigentlich ein Genuss, aber auch bei Stress esse ich. Leider entwickelte sich im Laufe der Zeit ein Ungleichgewicht hin zu wahllosem Essverhalten.
Nach der Diagnose jedoch war es klar gewesen, dass ich mit dem ungesunden Essverhalten meinem Körper Schaden zugefügt habe. Mit der Diagnose Diabetes beim Arzt hatten sich für mich nun die Prioritäten verschoben, was nicht heißt, dass ich auch gleich eine Lösung des Gewichtsproblems und Essverhaltens umsetzen konnte. Für mich, der das Kochen liebt, gibt es zur Gewichtsreduktion viele Konzepte, die viel mit Verzicht zu tun haben, wie: radikale Diäten (Hungerkuren), Verzicht auf Zucker, Low-Carb, Steinzeitdiäten, Weltraumdiäten und wie sie alle heißen. Ich sage gleich: "Meiner Meinung nach, tolle Konzepte, aber für den langfristigen Erfolg nur die halbe Wahrheit". Ich habe mich schwer getan mit dem Verzicht, den ich offensichtlich nicht wollte, denn ich habe immer wieder Lücken und Gelegenheiten gefunden, irgendwie den Versuchungen nachzugeben und meine Ernährung nicht langfristig umgestellt.
Nach fünf Jahren mit Diabetes und nach vielen vergeblichen Versuchen meinen Lebensstil zu ändern, habe ich die Lösung für mich gefunden: "Ich verzichte nicht, aber ich denke vorher nach". Ümit Sahin
Bei jeder dieser Mahlzeiten frage ich mich: "Was schmeckt mir an diesem Gericht? Warum liebe ich es so?" Beim Hamburger, zum Beispiel ist es das Innenleben, also Salat, Fleisch, Soße, natürlich selbstgemacht, und Käse. Das heißt für mich, ich kann auf das Brötchen verzichten. Auf diese Weise habe ich also meine Essgewohnheit umgestellt und bin jetzt aufmerksamer, was und wie viel ich esse, weil ich mir vorher Gedanken gemacht habe und ehrlich damit umgegangen bin.
"Gesunde Lebensmittel und gesunde Ernährung – aber auf meinen Geschmack angepasst". Ich werde nie vergessen, dass ich Diabetes habe, aber ich setze mich nicht mehr so unter Stress, denn es gibt eine Lösung: Regelmäßig zum Diabetologen gehen und Fragen an die Diabetesberatung stellen. Gesunde Ernährung, Bewegung, Gleichgesinnte finden und Selbsthilfegruppen gehören ebenfalls dazu.
Ich bin fest davon überzeugt, dass kleine Tricks helfen, alte Gewohnheiten zu überwinden, die einem selbst Spaß machen und der Diabeteserkrankung eine Lockerheit geben, die dann mein Leben glücklicher machen.
Ich wünsche allen dafür Geduld mit sich selbst, Mut zur Veränderung in kleinen Schritten und ganz viel Lebensfreude.
Ümit Sahin
Der Experten-Videofilm mit Ümit Sahin ist im DDH-M YouTube-Kanal aufrufbar.
2022 DDH M Einblick in das Leben mit Diabetes Typ 2, Experten-Videofiilm mit Ümit Sahin, © motionboard
Die DDH-M hat diesen Experten-Videofilm „Einblick in das Leben mit Diabetes Typ 2" mit freundlicher Unterstützung der TK Krankenkasse erstellt und veröffentlicht - herzlichen Dank dafür. Für die Inhalte des Films ist ausschließlich die DDH-M verantwortlich. (2022/2023)
Ebenso bedankt sich DDH-M bei Referent Ümit Sahin. Vielen Dank auch unserem Filmteam motionboard mit Melanie und Robert Bastian, die die Diabetes-Experten-Videofilme in der Geschäftsstelle aufgezeichnet und im Filmstudio produziert haben. Allen Mitwirkenden gebührt ein herzliches Dankeschön.
Beitrag vom 1.12.2022, Text Ümit Sahin (gekürzt), Foto und Videofilmaufnahmen © motionboard, August 2022; letzte Aktualisierung am 1.12.2022