Wer regelmäßig seinen Blutzucker bestimmen muss, hat diese Situation bestimmt schon erlebt: Zwei Menschen sitzen zusammen und unterhalten sich über den Anstieg des Blutzuckers nach Verzehr eines bestimmten Lebensmittels.
Person A berichtet von stark ansteigenden Blutzuckerspiegeln, wenn beispielsweise ein Apfel gegessen wurde, während Person B dies nicht bestätigen kann.
Auch ich habe dieses Gespräch während meiner Zeit mit Schwangerschaftsdiabetes mit meinem Schwiegervater (Typ1-Diabetiker) geführt. Mit meinem Verständnis über das Konzept des glykämischen Indexes konnte ich mir nicht vorstellen, dass das gleiche Lebensmittel bei verschiedenen Personen zu merklich unterschiedlichen Blutzuckerantworten führt.
Dabei konnte die Wissenschaft dieses interessante Phänomen bereits in vielen Studien nachweisen. Und dies ist nicht nur ein „Problem“ bei Diabetes, nein, auch Gesunde reagieren beim Verzehr des gleichen Lebensmittels nicht gleich.
Um solche Schwankungen zu erforschen, führen Wissenschaftler standardisierte Blutzucker-Verlaufsmessungen durch. Die teilnehmenden Probanden bekommen morgens nüchtern eine Glukoselösung oder die entsprechende Menge eines Lebensmittels wie zum Beispiel Weißbrot. In der Regel werden 50g verabreicht um eine messbare Blutzuckerreaktion hervorzurufen. Anschließend werden in kurzen regelmäßigen Abständen der Blutzucker bestimmt und der Verlauf des Blutzuckeranstieges untereinander und an verschiedenen Messtagen verglichen. Bei diesen Untersuchungen werden beträchtliche Unterschiede gemessen.
Dabei variierten die Blutzuckerwerte nicht nur zwischen zwei Personen (inter-individuelle Schwankung) sondern auch bei der gleichen Person zu verschiedenen Zeitpunkten (intra-individuelle Schwankung), also heute sind die Werte für das gleiche Lebensmittel anders als morgen oder in einer Woche.
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Interessanterweise, ist die inter-individuelle Schwankung häufig größer als die intra-individuelle Schwankung, das heißt: Die Unterschiede zwischen uns Menschen sind größer als die Unterschiede an verschiedenen Tagen. Beziffert man diese inter-individuellen Unterschiede in konkreten Zahlen liegt man bei etwa 30-50%.
Veranschaulicht man sich das an einem Beispiel ist es gut möglich, dass eine Person nach dem Verzehr einer Banane einen maximalen Blutzucker von 115 mg/dl hat und eine andere nur auf maximal 90 mg/dl kommt.
Wieso genau die Werte so stark schwanken, ist noch nicht abschließend geklärt. Man weiß aber, dass die genetische Veranlagung, der Lebensstil (Ernährungsmuster, sportliche Aktivität), die Insulinempfindlichkeit des Körpers, bei komplexen Mahlzeiten die Nahrungszusammensetzung, und mit Sicherheit noch einige andere Faktoren eine Rolle spielen.
Also wenn Ihnen jemand das nächste Mal erzählt, dass er lieber Kartoffeln statt Reis isst, weil sein Blutzuckerspiegel dann nicht so stark ansteigt, dann können Sie ganz überzeugt sagen: Das kann durchaus sein, aber bei mir ist es genau anders herum.
Autorin Prof. Dr. Claudia Miersch, Beitrag vom 14.04.2020; letzte Aktualisierung am 26.2.2022
Quellen (letzter Abruf April 2020):
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19737630
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=vega-lopez+1412
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26590418