Dr. med. Stefan Kabisch - Vorwort
Im folgenden Kurzfilm möchte ich Ihnen die gesundheitliche Bedeutung von Übergewicht erläutern und das „Metabolische Syndrom“ vorstellen. Übergewicht und Adipositas – also starkes Übergewicht – sind Risikofaktoren für eine Fülle von Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall, aber auch Krebserkrankungen, orthopädische Störungen sowie bestimmte Erkrankungen der Haut, der Psyche und der Verdauungsorgane.
Das Metabolische Syndrom ist oftmals die direkte Folge des Übergewichts, messbar durch Blutwerte und andere Risikogrößen neben dem Körpergewicht. Ein metabolisches Syndrom ist heilbar; dadurch lassen sich auch Risiken für Folgeerkrankungen deutlich reduzieren. Klinische Studien müssen aufklären, welche Menschen von einer Gewichtsabnahme gesundheitlich profitieren, wie sie am besten gelingt und lange erhalten bleibt, welche Hürden, aber auch welche Chancen darin für Patienten, im Besonderen für Menschen mit Diabetes Typ 2 liegen.
Ich arbeite als Studienarzt an der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin der Charité in Berlin und führe dort klinische Studien zu Übergewicht, Typ-2- Diabetes und gesunder Ernährung durch. In diesem Themenfeld bin ich seit 14 Jahren tätig.
Dr. Stefan Kabisch
Warum ist Übergewicht heute so häufig?
Übergewicht betrifft viele Menschen in Deutschland, etwa zwei Drittel der Bevölkerung wiegen zu viel. Unser genetisches Programm zum Essverhalten ist viele Millionen Jahre alt und darauf ausgerichtet, dem Körper immer genug Nährstoffe zu sichern. In den kargen Perioden der Steinzeit war das überlebenswichtig. Heute führt das Überangebot an ungesunden, aber oft leckeren, energiereichen Lebensmitteln dazu, dass wir mehr Kalorien zu uns nehmen, als wir durch Alltagsbewegung und Sport verbrauchen.
Nur relativ wenige Menschen sind aufgrund spezieller Erkrankungen übergewichtig. Störungen der Hormondrüsen, besondere Stoffwechselprobleme und seltene Gendefekte sind dabei einige mögliche Ursachen. Auch bestimmte Medikamente wie z.B. Cortisonpräparate, manche Psychopharmaka und eine Insulinbehandlung können zur Gewichtszunahme beitragen.
Übergewicht und Metabolisches Syndrom
Übergewicht belastet den Körper in vielerlei Hinsicht – mechanisch an den Gelenken, aber auch in vielen Bereichen des Stoffwechsels. Ein gern genutzter Messwert für das Übergewicht ist der BMI (Bodx Mass Index), berechnet aus Körpergewicht und Körpergröße. Welcher BMI bedenklich ist, hängt u.a. vom Alter, von der ethnischen Herkunft, von Begleiterkrankungen und von der Körperzusammensetzung ab.
Die Beurteilung, ob man wirklich ein bedenkliches Übergewicht hat, sollten zertifizierte Ernährungsberater und Ärzte treffen. Das Metabolische Syndrom ist definiert durch die Kombination verschiedener Risikofaktoren, z.B. bauchbetontes Übergewicht, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung und erhöhten Blutzucker. Dieses Bündel von Faktoren ist der typische Vorläufer für viele schwerwiegende Folgeerkrankungen, die alle Organe des Körpers betreffen können. Allerdings gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder verschiedene Definitionen, welche bzw. wie viele Faktoren zum Metabolischen Syndrom gehören. Offiziell nicht dazugehörend, aber ebenso typisch sind auch erhöhte Entzündungswerte, erhöhte Harnsäure und eine Fettleber.
Diabetes Typ 2 kann ein Bestandteil des Metabolischen Syndroms sein, aber auch seine Folge. Menschen mit Übergewicht, Bluthochdruck und Febstoffwechselstörung, aber zunächst noch normalem Blutzucker haben ein besonders hohes Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln.
Wie nützlich ist das „Metabolische Syndrom“ als Gesundheitsmarker?
Das „Metabolische Syndrom“ wird oft als wichtige Risikogröße bei medizinischen Studien, aber auch in der Behandlung von einzelnen Patienten eingeschätzt. Ein idealer Messwert ist das Metabolische Syndrom aber nicht, denn es kennt keine Schweregrade. Der Begriff „Metabolisches Syndrom“ ignoriert zudem einige wichtige Risikofaktoren, die ebenfalls zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch Krebs beitragen. Rauchen, Alter und die familiäre Häufung von erblichen Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herzinfarkt und Krebs, sind oftmals viel relevanter als ein leichtes Übergewicht oder ein milder Bluthochdruck. Gerade für ältere Menschen gibt es längst mildere Zielwerte für den BMI, den Blutdruck, auch den Blutzucker. Das Metabolische Syndrom differenziert hier aber leider gar nicht.
Letztlich ist die Diagnose „Metabolische Syndrom“ vor allem für große klinische Studien nützlich. Man kann demonstrieren, wie sich die Allgemeingesundheit über die Zeit entwickelt hat. Das funktioniert aber auch nur, wenn man immer die gleiche Definition mit den gleichen Grenzwerten nutzt.
Im klinischen Alltag, beim einzelnen Patienten, ist die Diagnose „Metabolisches Syndrom“ nicht besonders hilfreich. Erhöhte Blutfettwerte, erhöhten Blutdruck oder Diabetes muss man behandeln, egal, ob man übergewichtig ist oder nicht. Dabei ist auch wichtig, wie stark erhöht ein Risikofaktor ist. Alleiniges Übergewicht hingegen ist für manche Menschen gar kein Risikofaktor, weil bei ihnen alle anderen Stoffwechselwerte in Ordnung sind oder weil ganz andere Erkrankungen im individuellen Verlauf von Bedeutung sind.
Wer sollte sein Übergewicht behandeln lassen? Welchen Nutzen bringt es?
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sollten Übergewicht vermeiden bzw. behandeln lassen. So lassen sich Folgeerkrankungen und unumkehrbare Spätschäden sehr wahrscheinlich verhindern.
Auch Erwachsene im mittleren Alter sollten auf ihr Gewicht achten und gerade beim Auftreten zusätzlicher Stoffwechselprobleme (Blutzucker, Blutfette, Blutdruck) mit ärztlicher Hilfe eine Einschätzung und Behandlung des Übergewichts anstreben. Auf diese Weise lässt sich ein Typ-2-Diabetes oftmals verhindern oder zurückdrängen.
Mit dem Eintreten der Wechseljahre bei Frauen ist eine gewisse Gewichtszunahme ganz normal. Sie bedeutet nicht automatisch, dass auch Folgeerkrankungen plötzlich zunehmen. Auch bei Männer ist etwa ab dem 60. Lebensjahr die Behandlung des Übergewichts nicht unbedingt sinnvoll. Im Gegenteil: Diäten und Abnehmkuren im höheren Alter können sogar neue bzw. größere Risiken hervorrufen, während sich für den Stoffwechsel oder das Herz gar kein Vorteil einstellt.
Wer schon seit langer Zeit übergewichtig ist, Bluthochdruck oder Diabetes Typ 2 hat, hat oft bereits erste Folgeschäden erlitten, die man nicht unbedingt spüren muss: Gefäßverkalkungen, Störungen der Nervenfunktion, geschwächte Nieren, Durchblutungsstörungen am Auge. Auch mit deutlicher Gewichtsreduktion und gesünderer Ernährung lassen sich diese Schäden wahrscheinlich nicht mehr stark beeinflussen. Der Nutzen einer Ernährungsumstellung beschränkt sich dann auf ein verzögertes Fortschreiten, auf eingesparte Medikamente, eine bessere Lebensqualität.
Gerade Menschen mit Diabetes sollten keine intensiven Diätversuche ohne ärztliche Betreuung unternehmen. Selbst mit ärztlicher Rücksprache wird vielen Typ-2-Patienten von einer Gewichtsreduktion abgeraten, normalgewichtigen und übergewichtigen, denn die Chance eines langfristigen Nutzens ist mitunter geringer als das Risiko für rasche Nebenwirkungen. Dr. Stefan Kabisch
Welche Risiken hat die Gewichtsreduktion?
Wichtiges Risiko ist die Wiederzunahme. Der Jojo-Effekt betrifft viele Patienten mit Übergewicht - er mindert die Motivatio „am Ball zu bleiben“ - stört aber auch selbst den Stoffwechsel. Intensive Sportprogramme als Mittel zur Gewichtsabnahme können Gelenke stark beanspruchen, auch Verletzungsrisiken gibt es, besonders bei starkem Übergewicht.
Bei Ernährungstherapien kommt es stark auf die Zusammensetzung der Nahrung und Begleiterkrankungen an. Je nach individueller Situation können Gallensteine, Unterzuckerungen, Schwindel durch Blutdruckabfall und Verdauungsprobleme auftreten. Sehr radikale Diäten können – gerade bei vorerkrankten, bewegungseingeschränkten oder älteren Patienten – hauptsächlich die Muskelmasse anstelle der Fettmasse abbauen. Nach einer solchen Diät ist man dann leichter, aber weder fitter noch gesünder.
Auch Mangelernährung, Osteoporose oder Essstörungen können durch zu lange, zu intensive oder grundlegend falsche Ernährungstherapien verursacht werden. Menschen mit Diabetes, die mit bestimmten Medikamenten, insbesondere Insulin behandelt werden, müssen bei einer gewichtsreduzierenden Ernährungsumstellung oder einem neuen Sportprogramm strenger auf den Blutzuckerspiegel achten, denn das Risiko für Unterzuckerungen steigt an. In Absprache mit den behandelnden Ärzten wird ggf. schon vorausschauend die Dosis der Medikation angepasst.
Eine Behandlung zur Gewichtsabnahme sollte immer ärztlich begleitet sein, idealerweise auch mit professioneller Ernährungsberatung vor, während und nach der Abnehmphase. Persönlichkeiten aus Zeitungen, Fernsehen und Social Media sind meist keine Fachexperten. Ihre Ratschläge können beträchtliche Gesundheitsrisiken bewirken. Dr. Stefan Kabisch
Wie nimmt man am besten ab, wenn man abnehmen soll?
Den sichersten, langfristigen Erfolg verspricht eine ärztlich begleitete Umstellung von Ernährung und Bewegungsmuster durch zertifizierte Ernährungsberater. Die Bewegungstherapie fördert hierbei Erhalt und Ausbau von Muskulatur sowie einen erhöhten Energieverbrauch zugunsten des Fettabbaus.
Durch die Anpassung der Ernährung kann die Kalorienzufuhr abgesenkt werden, aber auch die Qualität der verzehrten Lebensmittel verbessert werden. Reine Kalorienträger ohne Mikronährstoffe lassen sich streichen oder ersetzen, bei der sonstigen Nahrung werden ballaststoffreiche, bevorzugt frische oder wenig verarbeitete Produkte betont.
Alle Menschen reagieren etwas unterschiedlich auf verschiedene Ernährungsmuster. Was bei einem leicht umsetzbar ist und gut wirkt, funktioniert bei der anderen gar nicht. Selbst die Forschung kennt noch nicht die ideale Diät zum Abnehmen, weder für gesunde Menschen mit Übergewicht, noch für Menschen mit Diabetes.
Für Menschen mit Diabetes ist aber das Risiko für Nebenwirkungen durch fast alle Diätverfahren höher als für Gesunde. Für den Gesamtstoffwechsel scheint die traditionell-mediterrane Ernährung (Fisch, Gemüse, Pflanzenöl, Nüsse, Vollkornprodukte, aber nicht „Pizza und Pasta“) die beste Lösung zu sein – unabhängig vom Gewicht. Von Diäten mit sehr radikalen Vorgaben sollte man die Finger lassen. Meist hält man diese nicht lang genug durch und sie können das Diabetesmanagement durcheinanderbringen.
Der Experten-Videofilm mit Dr. Stefan Kabisch ist im DDH-M YouTube-Kanal aufrufbar.
2022 DDH M Übergewicht und Metabolisches Syndrom, Video-Erklärfilm mit Dr. med. Stefan Kabisch, © motionboard
Die DDH-M hat diesen Experten-Videofilm „Übergewicht und Metabolisches Syndrom" mit freundlicher Unterstützung der TK Krankenkasse erstellt und veröffentlicht - herzlichen Dank dafür. Für die Inhalte des Films ist ausschließlich die DDH-M verantwortlich. (2022/2023)
Ebenso bedankt sich DDH-M bei Referent Dr. med. Stefan Kabisch. Vielen Dank auch unserem Filmteam motionboard mit Melanie und Robert Bastian, die die Diabetes-Experten-Videofilme in der Geschäftsstelle aufgezeichnet und im Filmstudio produziert haben. Allen Mitwirkenden gebührt ein herzliches Dankeschön.
Beitrag vom 3.12.2022, Text Dr. med. Stefan Kabisch, Foto und Videofilmaufnahmen © motionboard August 2022; letzte Aktualisierung am 3.12.2022