Zu Beginn eines neuen Jahres wollen viele Menschen ein paar weniger Gewicht auf die Waage bringen. Der Blick wandert daher einmal häufiger auf die Kalorienangabe auf der Lebensmittel­verpackung. Aber macht das überhaupt Sinn? Kalorien zu zählen um abzunehmen – einige erstaunliche wissenschaftliche Experimente bekräftigen, dass dieser Ansatz überholt ist.

Prof. Dr. Claudia Miersch, Ernährungs­wissenschaftlerin, Januar 2021

Was ist eigentlich eine Kalorie?

Eine Kalorie ist eine veraltete physikalische Maßeinheit für Energie (heute wird eher die Angabe Joule verwendet). Was der Stunden­kilometer für die Geschwindigkeit eines Autos ist, sind die Kalorien für die Energie von Lebensmitteln. Unser Körper kann aus Kohlenhydraten, Eiweißen, Fett und Alkohol Energie gewinnen, um sie für den Erhalt unsere Körperfunktionen und alle weiteren Aktivitäten zu nutzen. Physikalisch ist eine Kalorie immer eine Kalorie, aber nicht physiologisch. Klar, sie können sich nicht in Luft auflösen, aber was der Körper mit den Kalorien aus den Nährstoffen macht, scheint von den Nährstoffrelationen abhängig zu sein.

Gleiche Kalorien aber weniger Gewicht!?

Den Stein zum Rollen bringen Studienergebnisse mit isokalorischen Kostformen. Zwischen zwei Diäten ist dabei der Kaloriengehalt absolut identisch, lediglich die Zusammen­setzung der Nährstoffgruppen Kohlenhydrate, Fett und Protein variiert. Es kann zum Beispiel untersucht werden, wie sich eine kohlenhydratarme Kost im Vergleich zu einer kohlenhydratreichen Kost bei gleicher Kalorien­aufnahme auswirkt. Was würde man vermuten, was mit dem Körpergewicht und auch mit der Körper­zusammensetzung in beiden Gruppen passiert?

Nach dem klassischen Konzept „eine Kalorie ist gleich eine Kalorie“ würde man vermuten, dass es zu keinen Unterschieden zwischen den beiden Kostformen kommt. Eine Fülle an Studien zeigt jedoch, dass es nicht so ist. 

Trotz gleicher Kalorienmenge kommt es bei einer kohlenhydratarmen Kost zu einer höheren Gewichts­abnahme und zu einer geringeren Fettneubildung in der Leber als bei einer kohlenhydratreichen Kost.1-2

Gegenüberstellung: Obst und Gemüse versus Burger und Pizza

Gibt es einen wissenschaftlich begründbaren Beweis für diesen Effekt?

Viele Forscher sehen eine Erklärung in der durch die Nahrungs|1↑aufnahme gesteigerten Wärme­produktion oder als Fachbegriff in der „nahrungsinduzierten Thermogenese“. 

Durch Transport-, Ab- und Umwandlungsprozesse wird in unserem Körper je nach aufgenommenem Nährstoff unterschiedlich viel Wärmeenergie freigesetzt. Während bei Fetten 2-3 % und Kohlenhydraten 6-8 % der Energie in Wärme umgewandelt wird, sind es bei Protein bis zu 30 %. 

Wenn ich also den Kohlenhydrat­anteil in meiner Ernährung herunter­schraube und die eingesparten Kalorien gleichmäßig auf Fett und Proteine verteile, also weiterhin bei beispielsweise 2000 kcal bleibe, dann werden in meinem Körper bei einem verminderten Kohlen­hydratanteil von etwa 20 % etwa 100 kcal mehr in Form von Wärme freigesetzt (durch den höheren Proteingehalt) als vorher.3 Wenn mehr Energie für Wärme „verloren“ geht, steht weniger Energie zum Verbrauchen oder Einlagern zur Verfügung. Das kann dann bei gleicher Kalorien­zufuhr zu einem anderen Gewicht führen.

Mein persönliches Fazit zu diesem Thema lautet:

Auch, wenn man sich vom genauen Kalorienzählen verabschieden kann, gilt immer noch der alte Grundsatz: Wenn ich nach Abzug der Wärmeenergie meinem Körper mehr Kalorien zur Verfügung stelle als ich verbrauche, nehme ich zu.

Eine abwechslungsreiche, ausgewogene und naturbelassene Ernährung mit viel Bewegung zeigt höchstwahrscheinlich schnellere Erfolge auf der Waage, als der Taschen­rechner und die Nährwerttabelle auf dem Essenstisch.

Prof. Dr. Claudia Miersch, Ernährungs­wissenschaftlerin

Autorin Prof. Dr. Claudia Miersch, Beitrag vom 04.05.2021; letzte Aktualisierung am 26.2.2022

Quellen (letzter Abruf April 2021):  
1) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18370664/
2) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12499321/
3) https://nutritionj.biomedcentral.com/articles/10.1186/1475-2891-3-9#ref-CR4